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Schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit autistischen Verhaltensweisen (2)

Zusammenarbeit mit Eltern

Der besondere Erziehungsbedarf und die spezifischen Lerngegebenheiten von Kindern und Jugendlichen mit autistischen Verhaltensweisen fordern Eltern und Schule zu einem Zusammenwirken heraus, das von gegenseitiger Offenheit geprägt ist.


Bis zum Schuleintritt haben Eltern in der familiären Lebensgestaltung und in der Förderung ihres Kindes vielfältige Erfahrungen gesammelt und sich Kompetenzen angeeignet. Aus ihrer täglichen Erfahrung heraus können die Eltern die Auswirkungen des Autismus auf die Lebensgestaltung, spezifische Verhaltensweisen, entlastende Umgangsformen, persönliche Vorlieben oder die Wirksamkeit von Therapien - um einige Beispiele zu nennen - oftmals sehr differenziert darstellen und bewerten. Dieses Wissen soll in die schulische Förderung einbezogen und unter Berücksichtigung der schulischen und fachlichen Aspekte genutzt werden.


Mit dem Beginn der Schulpflicht gestalten neben den Erziehungsberechtigten weitere Personen die Erziehung und Bildung des Kindes auf der Grundlage eines staatlichen Auftrags mit. Eltern und Lehrer nehmen dabei unterschiedliche Rollen und Aufgaben wahr. Hieraus können voneinander abweichende Bewertungen oder gar Missverständnisse entstehen. Im Hinblick auf verlässliche Rahmenbedingungen, die die Schülerinnen und Schüler als Vertrauensbasis für eine förderliche Entwicklung benötigen, ist ein ständiger Austausch über die Ziele, Handlungsformen und Erfahrungen zwischen Schule und Eltern unumgänglich. Die elterlichen Erziehungsvorstellungen und die im Zusammenleben mit ihrem autistischen Kind praktizierten Formen der Lebensgestal-tung sind von schulischen Erziehungs- und Bildungsträgern als Individualrechte zu respektieren.


Unterschiedliche Meinungen und Bewertungen sollten als Chance begriffen werden, die gewonnenen Erfahrungen im schulischen und im elterlichen Lebensumfeld zu vergleichen. Möglicherweise ergeben sich hieraus wichtige Erkenntnisse für die weitere Arbeit.


Eltern fällt es manchmal durch ihre Betroffenheit schwer, sich im Umgang mit ihrem Kind von ihren sehr persönlichen Sichtweisen und Interpretationen des Autismussyndroms zu lösen. Hierdurch wird der Zugang zu sachlich notwendigen, veränderten Umgangsformen erschwert. Ziel und Aufgabe einer beratenden Begleitung ist es, hilfreiche Angebote zu unterbreiten, die es diesen Eltern erleichtern, eigene Standpunkte und Gewohnheiten zu verlassen und sich veränderten Handlungsformen anzunähern. Das Zusammenwirken zwischen Schule und Eltern wird ausgehend vom individuellen Abstimmungsbedarf unterschiedlich differenziert gestaltet. Es ist sicher zu stellen, dass sie in großer Offenheit gegenseitig alle wichtigen Informationen austauschen sowie Vereinbarungen treffen, wie in eventuell akut eintretenden Krisensituationen gehandelt werden muss.


Folgende Formen und Bereiche der Zusammenarbeit haben sich als hilfreich erwiesen:

  • regelmäßige Gespräche zwischen Lehrkräften, Schulbegleitern und Eltern

  • gesicherter Austausch von Informationen über Ereignisse des Schulalltags, ggf. in schriftlicher Form

  • regelmäßige Rückmeldung über die aktuellen Leistungen und über die Leistungsentwicklung

  • Beteiligung der Eltern an Förderplanungen und schulischen Entscheidungen

  • Beratung der Eltern bei der Nutzung von schulischen und außerschulischen Unterstützungssystemen

  • Vereinbarungen über regelmäßig stattfindende Beratungen zur schulischen Situation unter Beteiligung der regionalen Autismusbeauftragten sowie weiterer Maßnahmeträger (Fortschreibung der Hilfeplanung)

  • Unterstützung bei der Einrichtung von Elterngruppen und Gesprächskreisen, die die Begegnung Betroffener und den Austausch untereinander fördern.


Frühe Förderung

"Frühe Hilfen sind wirksame Hilfen". Dieses Motto für den Einsatz frühzeitiger Hilfen für Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten oder Behinderungen und deren Familien hat auch bei Kindern mit autistischen Verhaltensweisen seine Gültigkeit.


Erfahrungen in der frühen Förderung bestätigen die Notwendigkeit früher und gezielter pädagogisch-psychologischer und therapeutischer Unterstützung. Durch sie lassen sich auch die Auswirkungen des Autismus-Syndroms auf die Beziehungsentwicklung zwischen Eltern und Kind vermeiden bzw. vermindern.


Der Einsatz umfassender Hilfen wird oft durch fehlende Diagnosen erschwert, so dass die Problematik, in der sich das Kind befindet, nicht rechtzeitig erkannt wird. Hinzu kommt, dass nur wenige Einrichtungen auf die Diagnose und Förderung von Menschen mit Autismus spezialisiert sind. Meist sind dies von Eltern gegründete Selbsthilfeeinrichtungen.


Eine wichtige Anlaufsstelle für Kinder mit besonderem Förderbedarf im Vorschulalter sind in Baden-Württemberg die Sonderpädagogischen Frühberatungsstellen und Interdisziplinären Frühförderstellen. Sie übernehmen in diesem Bereich vielfältige Aufgaben, die sich sowohl auf konkrete Förderangebote als auch auf die Begleitung, Beratung und Stärkung der Familien beziehen. Diese Beratungsstellen bieten auch ihre Un- terstützung für Familien mit einem autistischen Kind an. Dabei arbeiten sie eng mit Eltern, Kliniken, Sozialpädiatrischen Zentren, Therapeuten und den Beratungsstellen der Elternverbände zusammen und entwickeln gemeinsam mit allen Beteiligten ein individuelles Förderangebot.


Früherkennung

Der Einsatz gezielter Hilfen erfordert eine genaue Diagnosestellung. Obwohl den Eltern meist schon im Verlauf des 2. Lebensjahres das Verhalten ihres Kindes auffällt, beginnen gezielte Fördermaßnahmen für die Kinder oftmals erst ab dem 4. – 5. Lebensjahr.


Auch wenn die Diagnose Autismus in den ersten Lebensjahren sehr schwierig zu stellen ist, weil eindeutige medizinische "Marker" fehlen, gibt es doch Orientierungshilfen in Form von "Screening" Verfahren und Beobachtungslisten für die Vorsorgeuntersuchungen, um Verdachtsmomenten in Richtung Autismus nachgehen oder sie ggf. ausschließen zu können. Hierbei ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Eltern, Pädagogen, Ärzten, Psychologen und Therapeuten dringend erforderlich. Die Diagnose Autismus beruht in erster Linie auf Beobachtungen von Verhaltensweisen. Daher ist es für die Diagnosestellung unumgänglich, das Kind in unterschiedlichen Situationen und aus dem Blickwinkel verschiedener Fachdisziplinen zu betrachten. Erste frühe Beobachtungen der Eltern können dem Arzt wichtige Hinweise auf eine mögliche autistische Störung liefern.


Anhaltspunkte hierfür können u.a. sein:

  • Auffälligkeiten in der frühen Interaktionen zwischen Kind und Mutter bzw. Bezugsperson (z.B. streckt nicht die Arme aus, um hochgenommen zu werden)

  • Auffälligkeiten im Schlaf-Wachrhythmus und beim Essen (z.B. starke Vorliebe für bestimmte Nahrungsmittel)

  • ein verändertes Schreiverhalten

  • stärkere Erregung bei Veränderungen und in neuen Situationen

  • Schwierigkeiten bei Rollenspielen oder So-tun-als-ob-Spielen, bei denen sie sich in eine andere Personen hineindenken und diese spielen sollen

  • Auffälligkeiten im sensorischen Bereich

  • ein geringes Handlungsrepertoire, um ein Ziel zu erreichen

  • Probleme, auf andere Menschen zuzugehen oder Kontakte aufzunehmen oder mit anderen Kindern gemeinsam etwas zu spielen


Später sind auch Sprachauffälligkeiten oder motorische Schwierigkeiten der Grund für eine Vorstellung beim Kinderarzt.


Dabei müssen das Lebensalter und der Entwicklungsstand des Kindes berücksichtigt werden und die Beobachtungen in unterschiedlichen Situationen stattfinden. In dieser frühen Phase geht es auch darum, Eltern aufzuzeigen, dass die Diagnose Autismus nicht gleichbedeutend ist mit Entwicklungsstillstand und geistiger Behinderung, sondern dass sich durch geeignete pädagogische, psychologische und therapeutische Maßnahmen Entwicklungsverläufe positiv beeinflussen und gestalten lassen, auch wenn im Vorschulalter die Prognose noch offen ist.


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