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KI in Form von Gesundheits-Apps

Eine Metaanalyse von 18 Studien zeigte, dass Gesundheits-Apps zur Selbstverwaltung von Depressionen zu einer signifikanten Linderung depressiver Symptome führen. Nutzer mit Angststörungen erlebten eine Verringerung ihrer Angstsymptome. Der Ersatz von ambulanten Therapiesitzungen durch mobile Anwendungen führte nicht zu einem signifikanten Verlust der Behandlungseffektivität.


Für den erfolgreichen Einsatz ist jedoch nicht nur die Wirksamkeit der App wichtig, sondern auch die Akzeptanz und damit die Bereitschaft zur Nutzung der Technologie. Hierbei ist die Erfüllung der Erwartungen an die Eigenschaften und Funktionen der Gesundheits-App entscheidend. Daher wurden im Rahmen einer empirischen Studie, die Teil des Projekts deepR (Digital Era Evidence-based Psychological Research) am Lehrstuhl für Sozial- und Organisationspsychologie der Humboldt-Universität zu Berlin ist, sowohl die Akzeptanz als auch die Erwartungen an KI-basierte Apps zur Erfassung und Verbesserung des psychischen Wohlbefindens am Beispiel der Zielgruppe der Kreuzfahrtmitarbeiter untersucht. Diese Zielgruppe wurde ausgewählt, da die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von Kreuzfahrtschiffen potenzielle Risikofaktoren für die psychische Gesundheit darstellen. Sie sind geprägt von sehr hoher Arbeitsbelastung, niedrigen Löhnen, regelmäßigen Überstunden, unzureichenden Erholungsmöglichkeiten, fehlender Privatsphäre und Jobunsicherheit. Zudem ist der Zugang zu psychologischer Betreuung aufgrund fehlender Therapeuten an Bord nicht gegeben. Daher ist der Einsatz von KI-basierten Apps zur Erfassung und Verbesserung des psychischen Gesundheitszustands für diese Zielgruppe besonders interessant und potenziell vielversprechend.


Im Rahmen von durchschnittlich einstündigen Interviews wurden insgesamt 30 Kreuzfahrtmitarbeiter telefonisch zu ihrem Gesundheitszustand, ihren Arbeitsbedingungen und ihrer Akzeptanz und Erwartungen bezüglich KI-basierter Apps zur Erfassung und Verbesserung des psychischen Gesundheitszustands befragt.


Trotz der Skepsis einiger Interviewteilnehmer gegenüber Künstlicher Intelligenz im Allgemeinen, sind drei Viertel der Befragten bereit, eine KI-basierte App zur psychologischen Unterstützung zu nutzen. Bestehende Skepsis kann vor allem auf Unsicherheit bezüglich der Datensicherheit und Anonymität sowie Unwissenheit und fehlende Informationen über die Funktionsweise von KI zurückgeführt werden, und kann durch verstärkte, offene Kommunikation adressiert werden.


Wie kann die Akzeptanz von Gesundheits-Apps erhöht werden?


Zusätzliches Wissen über Datensicherheit und Anonymität von KI kann die Bereitschaft zur Nutzung von Apps erhöhen. Wenn eine Organisation ihren Mitarbeitern eine App zur Verfügung stellt, kann der Arbeitgeber die Nutzungsbereitschaft erheblich beeinflussen, indem er die App den Mitarbeitern vorstellt, ihre Funktionsweise in Informationsveranstaltungen erläutert und einen Ansprechpartner für weitere Fragen bereitstellt. Ein Drittel der Befragten bevorzugt es, wenn die App dem Arbeitgeber gehört, während zwei Drittel eher einem unabhängigen Dritten vertrauen. Die Sorge um Datensicherheit ist hierbei ein Hauptgrund. Eine staatliche Kontrolle und Regulierung könnte laut der bidt-Studie, die die Regulierung von KI thematisiert, die Lösung sein.


Die Normalisierung der Nutzung der App spielt ebenfalls eine Rolle. Daher sollte bei der Vermarktung darauf geachtet werden, die App von dem Stigma zu befreien, dass sie nur von “psychisch Kranken” und “Schwachen” genutzt wird. Stattdessen sollte eine proaktive positive Kommunikation der App angestrebt werden, die sich auf die gesundheitsfördernden Eigenschaften konzentriert und positive Erfahrungen anderer Nutzer einbezieht.


Endet die Nutzung nach 30 Tagen?


Apps haben eine durchschnittliche Lebensdauer von etwa 30 Tagen, wie eine Studie aus dem Jahr 2015 mit 125 Millionen Smartphones ergab. Trotz hoher Akzeptanz zeigen Studien zu Gesundheits-Apps, dass bereits nach wenigen Wochen nur noch ein Drittel der ursprünglichen Nutzer die Apps verwendet. Die eigene Studie zeigt jedoch, dass regelmäßiges Feedback über den Fortschritt der Nutzer und das Erreichen selbstgesteckter Ziele die Bereitschaft zur Nutzung von Chatbots und virtuellen Agenten langfristig aufrechterhalten kann. 93% der Befragten befürworten ein von der KI selbstständig geführtes Stimmungstagebuch auf Grundlage der Gespräche mit dem Nutzer. Insbesondere die Kombination von Gesundheits-Apps und regelmäßigen Absprachen mit einem menschlichen Therapeuten kann die Abbruchquote verringern.


Welche Erwartungen haben die Nutzer an die Eigenschaften und Funktionen der Apps?


Bei allgemeinen Apps und KI-basierten Gesundheits-Apps ist die Benutzerfreundlichkeit entscheidend: Die Mehrheit der Kreuzfahrtmitarbeiter legt Wert auf einfache Bedienbarkeit, Übersichtlichkeit und ein angemessenes Design. Fast die Hälfte der Befragten wünscht sich werbefreie Apps. Speicher-, Batterie- und Datenverbrauch sollten minimiert werden. Alle Interviewteilnehmer möchten verbal mit dem virtuellen Therapeuten kommunizieren können, wobei eine Kommunikation in der Muttersprache und eine gute Spracherkennung und -ausgabe erwünscht sind. Die Duplex-Technologie von Google zeigt, wie gut die Spracherkennung und -ausgabe von KI bereits entwickelt ist. Die sprachliche Interaktion dieses Systems ist so ausgereift, dass Testpersonen in Telefongesprächen kaum bis gar nicht mehr unterscheiden können, ob sie mit einem Menschen oder einer KI sprechen. Auch die schriftliche Kommunikation in Form einer Chat-Funktion sollte vorhanden sein, um eine offene Kommunikation mit der KI zu ermöglichen, ohne dass Dritte das Gespräch mitverfolgen können. Neben der verbalen Kommunikation ist eine ein- und ausblendbare visuelle Darstellung des Therapeuten zu empfehlen. Auch die Verwendung einer Virtual-Reality-Brille ist denkbar.


Mehr als drei Viertel der Befragten möchten den virtuellen Therapeuten individualisieren können. Neben der Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Stimmen, ist auch das Anpassen von Geschlecht, Alter und Aussehen gefragt. Als wichtige Zusatzfunktion wird die Krisenerkennung beschrieben. Dabei geht es darum, bei Erkennen einer emotionalen Krise durch die KI, automatisch medizinische Fachkräfte zu kontaktieren und ein Eingreifen bzw. das Verhindern von Suiziden zu ermöglichen oder anderweitig selbstverletzendem Verhalten zuvorzukommen.


Wie kann die Akzeptanz von Gesundheits-Apps erhöht werden?


Neben der Krisenintervention ist insbesondere die Integration der Sprach-KI mit weiteren Gesundheitsfunktionen gewünscht. Daher könnte eine abgespeckte Version der Apps bereitgestellt werden, die nur Sprach- und Notfallfunktionen enthält, während eine umfangreichere Version Fitnessfunktionen, Kalorienzähler, Schrittzähler und Schlaf-Tracker sowie zusätzliche Funktionen wie Musik-Playlists, Hörbücher und eine Online-Bibliothek für individuelle Recherchen zu Gesundheitsthemen umfasst. Diese App-Version könnte mit zusätzlichem Zubehör wie einer Smartwatch verwendet werden, um verlässliche Gesundheitsdaten zu erfassen.


Künstliche Intelligenz anstelle eines Psychotherapeuten?


Obwohl drei Viertel der Befragten bereit sind, eine KI-basierte Gesundheits-App zu nutzen, kann diese Technologie zumindest derzeit noch keinen menschlichen Psychotherapeuten vollständig ersetzen. Sie eignet sich eher dazu, den mentalen Zustand über einen bestimmten Zeitraum hinweg zu überwachen, Unterstützung anzubieten und in Krisensituationen Kontakt zu weiterführenden Stellen herzustellen.


Die Technologie kann jedoch dort helfen, wo der Zugang zu menschlichen Therapeuten aus räumlichen oder zeitlichen Gründen, wie beispielsweise an Bord von Kreuzfahrtschiffen, eingeschränkt oder nicht vorhanden ist. Die Studienergebnisse zeigen, dass das psychische Wohlbefinden von Kreuzfahrtmitarbeitern an Bord eher niedrig ist. Insbesondere Erschöpfung, Stress und Müdigkeit sind bei den Befragten weit verbreitet. Dennoch gibt es an Bord keine psychologische Unterstützung, weshalb eine KI-basierte App für diese Zielgruppe besonders interessant sein könnte. Aber auch dort, wo lange Wartezeiten von bis zu sechs Wochen eine Verschlechterung des mentalen Gesundheitszustandes bis zur Behandlung bedeuten, könnten KI-basierte Apps helfen.


Unter normalen Bedingungen leiden bereits jährlich rund 28% der deutschen Bevölkerung an einer psychischen Störung. Depressionen, Angststörungen und ähnliches zählen damit zu den vier wichtigsten Ursachen für den Verlust gesunder Lebensjahre. In der Corona-Krise ist die Zahl der Betroffenen deutlich gestiegen. Im ersten Halbjahr 2020 verzeichnete die KKH Krankenkasse einen Anstieg von 80% an Krankmeldungen aufgrund psychischer Leiden im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch das LVR-Institut für Versorgungsforschung erwartet nicht nur einen Anstieg an Angststörungen, Depressionen und Anpassungsstörungen, sondern auch eine lang anhaltende Phase zunehmender Inanspruchnahme des psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungssystems.


Angesichts der Tatsache, dass bereits vor der Pandemie bis zu sechs Wochen auf einen Termin beim Psychotherapeuten gewartet werden musste und nun aufgrund steigender Nachfrage bei gleichbleibendem Angebot an Therapeuten mit einer zusätzlichen Verlängerung der Wartezeiten zu rechnen ist, wird deutlich, dass alternative Hilfestellungen benötigt werden: Nicht nur für die Behandlung bestehender psychischer Störungen, sondern vor allem auch zur Vorbeugung von Erkrankungen, deren Entstehung durch Faktoren wie Jobunsicherheit, finanzielle Einbußen bis hin zur Isolation von Familie und Freunden begünstigt wird. Wenn man den Fokus von der Krankheitsbehandlung auf die Gesundheitsförderung verlagert, sind KI-basierte Apps nicht nur für Menschen mit bestehenden psychischen Problemen interessant. Gesundheit ist mehr als die bloße Abwesenheit von Krankheit und eine proaktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Wohlbefinden kann dazu beitragen, die persönliche Resilienz in Zeiten von Corona zu stärken.

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